Fußschweiß im Felde

Das Schönste an Halle ist die Hochstraße, könnte man in Abwandlung eines bekannten Blogtitels sagen. Weil man auf ihr schnell vom einen Teil der Stadt in den anderen gelangen kann.

Zum Beispiel zur Museumsnacht am 10.05.2014 in die Franckeschen Stiftungen.

Der Innenhof wurde in wechselnden Farben illuminiert, es regnete und am einzigen Würstchenstand hatte sich eine lange Schlange gebildet. Aber eigentlich war ich ja zur Kabinettsausstellung in der Historischen Kulissen-Bibliothek gekommen: „Mit Gott für Kaiser und Vaterland“.

Kaisertreu bis ins Mark, hatten sich Lehrkörper und Schülerschaft der Franckeschen Stiftungen 1914 in Massen freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet. Die Schau überrascht angenehm durch ihre Sachlichkeit, zwar gibt es auch Pickelhaube und Gewehr zu sehen, der Schwerpunkt liegt aber auf dem Versuch, die damaligen Akteure zu (nunja) verstehen. Ihr Schulalltag war von einem streng hierarchischen, an militärischen Werten orientierten Reglement geprägt. Lehrer und Schüler empfanden den "Kriegsausbruch" wohl auch als Befreiung von Zwängen und Möglichkeit, sich selbst zu beweisen.

Private Briefe, Schulschriften, Bilderbögen und Zeitungsausschnitte lassen eine Ahnung davon entstehen, was die Schüler bewegte. Der Hurra-Patriotismus war wohl echt und jahrzehntelanger Erziehung zu Gehorsam und Obrigkeits-Treue zuzuschreiben. Aber was veranlasste ganz normale Schüler, (die heimlich rauchten und bei Prüfungen schummelten), sich in wirklich schrillen Posen ablichten zu lassen?

Auch meine Vorfahren waren solche Knipser, davon konnte ich mich als Heranwachsender beim Herumstöbern auf dem elterlichen Hausboden überzeugen. Die Kabinettsausstellung zeigt, wie der Krieg in den Schulbetrieb der Franckeschen Stiftungen eingriff und sich im Alltag ihrer Angehörigen auswirkte. Dabei war die holde Weiblichkeit mindestens so patriotisch wie unsere "Feldgrauen". Sie leistete in Fabriken, Dienststellen und Lazaretten kriegswichtige Arbeiten; strickte Socken, packe Päckchen mit Liebesgaben, führte Listen mit Toten und Vermissten.

Zu den Socken gab es durchaus gute Fußpflegemittel, zu den Totenlisten echte Trauer und patriotische Gesänge. Langsam beschlich mich das Gefühl, dass das alles heute gar nicht mehr so weit weg ist: die gleichgeschaltete Presse, der Konformitätsdruck bei gleichzeitiger staatlich verordneter Misswirtschaft. Das Ende ist bekannt.
Es regnete immer stärker. Auf dem Heimweg durfte ich am Markt noch fast 10 Minuten in einer völlig überfüllten Straßenbahn der Linie 7 warten. Der öffentliche Nahverkehr war überhaupt nicht auf den Besucheransturm eingestellt - ihm fehlt der Dispatcher aus friedlicheren Zeiten!

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